Gib mir die Hand

Wie schreibt man einen Mutmachtext?
Die Frage gibt mir seit Tagen Rätsel auf. Wie fang ich an?
Ich befrage meine Kinder. Schulterzucken. Ratlosigkeit.
Ich gehe spazieren.
Ich höre hin. Ich schaue. Ich bleibe stehen. Ich gehe weiter. Ich atme ein.
Und plötzlich habe ich einen Song im Kopf, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hab.

Im Sturz durch Raum und Zeit – Richtung Unendlichkeit- fliegen Motten in das Licht – genau wie du und ich…

Keine Ahnung, wie ich darauf komme.
Inspirationssuchend setze ich mich an meinen Laptop.
Beim Googeln von Mut stoße ich als Erstes auf einen Entsorgungsdienst. Verantwortungsvoller Umgang mit Abfall!
An dritter Stelle wird gesammeltes Wissen über Mut auf Wikipedia geteilt –

Interessant, woraus sich ein kleines Wort mit genau drei Buchstaben zusammensetzt: aus dem Indogermanischen „mo“, was „einen starken Willen besitzen“ und „sich mühen“ bedeutet – sowie dem Althochdeutschen „mout“, was „Sinn“, „Seele“ „die Kraft des Wollens“ und „Bereitschaft des Empfindens“, heißt.
Klingt irgendwie anstrengend.

Große Persönlichkeiten haben sich mit Zitaten rund um Mut abgemüht, so Immanuel Kant: „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Oder Friedrich Schiller: „Wer nichts waget, der darf nichts hoffen.“
Wie viele unterschiedliche Begriffe, Worte, Ausdrücke gibt es für das Wort Mut?
Wagemut, Waghalsigkeit. Furchtlosigkeit.
Courage und Beherztheit, Schneid und Mumm…
Ein Mutmachtext wird das mit der Begriffserklärung noch lange keiner werden.

 „Mutig in die neuen Zeiten“ – so beginnt die dritte Strophe der österreichischen Bundeshymne.
Aber auch Werbeslogans von (Volks-)Parteien.
Ich atme laut aus.
Ich scheine mich zu verlaufen.
Heißt Mut eigentlich, keine Angst zu haben?
Was unterscheidet den Feigling vom Mutigen?

Irgendwie fängt irgendwann – irgendwo die Zukunft an – ich warte nicht mehr lang…

Meine Tochter sagt schließlich doch etwas, nämlich: „Manchmal ist es gut, den Mut zu verlieren, damit man weiß, dass man Mut hat, wenn man ihn wieder findet.“ (Später wird dieselbe Tochter sagen, sie könne sich nicht erinnern,  jemals sowas gesagt zu haben).
Ein anderer (indischer) Philosoph sagt: „Die Herausforderung des Unbekannten trotz aller Ängste anzunehmen, das ist Mut.“
Und: „Du kannst nicht aufrichtig sein, wenn du nicht mutig bist.“

Liebe wird aus Mut gemacht – denk nicht lange nach – wir fahren auf Feuerrädern – Richtung Zukunft durch die Nacht…

Einige Spaziergänge später versuche ich mich spätnachts an etwas Gelegenheitslyrik:
Wäre Mut ein seltener Falter, sollte er nicht gefangen werden – um ihn nicht zu gefährden.
Alter Verwalter!
Ich überlasse das Dichten lieber anderen.

Gib mir die Hand – Ich bau dir ein Schloss aus Sand – Irgendwie irgendwo irgendwann – Die Zeit ist reif für ein bisschen Zärtlichkeit – Irgendwie irgendwo irgendwann…

Meiner Tochter gefällt der Song. Aber sie will nicht mehr zitiert werden, glaube ich. Darum redet sie vorsichtshalber nicht mehr mit mir.
Die große Marie von Ebner- Eschenbach sagt: „Wer Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer, Kraft.“
Mut als Wert?

Liest man in der freien Enzyklopädie der Wertvorstellungen nach, bedeutet Mut eine bestimmte Menge an Entschlusskraft, um etwas Unangenehmes oder Gefahrvolles zu tun oder auch zu verweigern. Nachteile oder Verluste (zumeist eigene) werden dabei in Kauf genommen.

Aus diesem Anlass stürze ich mich jetzt – wieder spätnachts – in die Fluten kalten Wassers und lasse mich dazu hinreißen, nochmals Lyrik von mir zu geben:
Wäre Mut ein Hosenknopf, nähte ich ihn fest bei mir an – damit mir nie wieder das Herz – in die Hose rutschen kann.
Ich freue mich wie Pumuckl über den Reim und spiele endlich den Song von Nena. Ich tanze.
Und lache…weil ich keinen Mutmachtext zu schreiben imstande bin.

Im Sturz durch Zeit und Raum – erwacht aus einem Traum – nur ein kurzer Augenblick – dann kehrt die Nacht zurück…

Die Tochter meldet sich doch noch einmal: „Was oft vergessen wird: der Mut zum Scheitern – zum Stehenbleiben, Aufhören –  der Mut zur Lücke – zur Unsicherheit, zum Nichtwissen –  sich eingestehen, nicht weiter zu wissen. Mut ist nicht immer heldenhaft.“

Befreiend!

Birgit Ritzer-Mayerl
Dezember 2020